Zeiselmauer im Mittelalter
Frühmittelalter: Leeres Land und fremde Völker
Nach dem Abzug der Römer 488 n. Chr. blieb das niederösterreichische Donaugebiet über Jahrhunderte nahezu unbesiedelt. Die aus dem Norden zuwandernden germanischen Langobarden erreichten um 500 n. Chr. die Donau, ließen sich nach ihrer Stammesüberlieferung für kurze Zeit auf einem feld nieder, womit wahrscheinlich das Tullnerfeld gemeint war, und wanderten schließlich in die ehemalige Provinz Pannonien ab.
Wenig später tauchte aus dem Osten das Reitervolk der Awaren auf, die in kurzer Zeit die Gebiete an der unteren Donau unterworfen hatten. Die Langobarden überließen ihnen kampflos das Land und zogen geordnet nach Süden ab. Sie eroberten den Norden Italiens und gründeten ein Königreich, dessen Name in der heutigen Lombardei weiterlebt.
Die Awaren nahmen das Gebiet der ehemaligen Provinz Ufernorikum bis zur Enns in Besitz, besiedelten es allerdings nur bis zum Wienerwald. Die in ihrem Gefolge einwandernden Slawen siedelten vereinzelt im Donautal.
Der ehemals römische Ort Cannabiaca war 300 Jahre unbewohnt, sein Name wurde vergessen. In den Ruinen sammelte sich eine bis zu 80 cm starke Humusschicht, in der keine Spuren von Besiedlung gefunden wurden.
Karl der Große und die Kolonisierung des Ostlandes
Im Jahr 791 trat Karl der Große zur Eroberung des Awarenreiches an. Er stieß mit einem bayerisch- fränkischen Heer entlang der Donau nach Osten vor und unterwarf die Awaren ohne große Mühe. Ihr Gebiet wurde dem Bayerischen Herzogtum als „Ostland“ einverleibt.
Ein großer Teil der wenig besiedelten Region wurde durch königliche Schenkungen an bayerische Klöster und Stifte zur Kolonisierung und Entwicklung übergeben. Nur diese verfügten über die dafür erforderlichen Mittel, Kenntnisse und auch die nötigen Menschen. Im Zuge dieser Kolonisierung wanderten bayerische Siedler ein, die sich mit den hier ansässigen Slawen bald vermischten. Es ist nicht untypisch für das spätere Österreich, dass die Bevölkerung seines Kernlandes auf diese Weise entstand.
Passauische Hofmark
Eines der mit Schenkungen bedachten Stifte war das bischöfliche Hochstift Passau, dem im Jahr 836 das östliche Tullnerfeld übergeben wurde. Der Siedlungskern war das königliche Gut von Kirichbach (das heutige St. Andrä v.d.H.), dessen Gebiet sich zwischen den heutigen Orten Greifenstein, Königstetten und Langenlebarn erstreckte.
Während Kirichbach – St. Andrä zum Pfarrzentrum wurde, entstand das Verwaltungszentrum der Passauischen Herrschaft in Zeiselmauer. Die noch bestehenden römischen Lagerbefestigungen machten den Ort zu einem willkommenen und gesicherten Siedlungsplatz. Der Passauische Gefolgsmann Zeizo ließ sich mit seinen Leuten hier nieder und gab dem Ort den Namen: Um 971 wurde er als Zeizinmurus („Mauer des Zeizo“ – Zeiselmauer) bezeichnet. Aus dem Hof des Zeizo wurde später der Herrenhof des Bischofs von Passau, in dem sich die Güterverwaltung der „Hofmark“ befand. Der „Körnerkasten“ wurde wahrscheinlich bereits damals zur Aufnahme des Zehentgetreides genutzt.
Das gesamte Gebiet wurde vom 10. bis ins 15. Jahrhundert als „Hofmark Zeiselmauer“ bezeichnet, womit ein weitgehend autonomes Wirtschafts- und Herrschaftsgebiet mit eigener Gerichtsbarkeit gemeint war.
Bischofspfalz Zeiselmauer
Unter Pfalz verstand man einen zeitweiligen dezentralen Amtssitz in einem großen Herrschaftsgebiet. Da sich die Passauische Diözese bis an die ungarische Grenze erstreckte und damit die Babenberger-Residenzen Klosterneuburg und dann Wien einschloss, hatte sich der Bischof öfter in diesem Gebiet aufzuhalten. Sein Herrenhof in Zeiselmauer bot die Gelegenheit, auf eigenem Gebiet und doch nahe der herzoglichen Residenz abzusteigen und hier seine Amtsgeschäfte abzuwickeln.
Die älteste Nachricht vom Aufenthalt eines Passauer Bischofs in Zeiselmauer betrifft den aus Passau vertriebenen Hl. Altmann, der 1091 hier verstarb und in dem von ihm gegründeten Stift Göttweig beigesetzt wurde.
Ein Platz in der mittelhochdeutschen Literatur
Nibelungenlied
Passauische Bischöfe waren oft Kunstfreunde und Mäzene. Es wird angenommen, dass bereits im 10. Jahrhundert Bischof Pilgrim die Aufzeichnung der auf die Völkerwanderungszeit zurückgehenden Stoffsammlung der Nibelungensage anfertigen ließ. Als angeblicher Onkel der schönen Kriemhild hatte er sich auch selbst eine Rolle in der Handlung zugedacht. Auf dieser Grundlage entstand um 1200 die uns geläufige mittelhochdeutsche Fassung des Nibelungenlieds. Ihr Autor ist namentlich nicht bekannt, befand sich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit am Hof des Passauer Bischofs Wolfger von Erla. Die Reise der Burgunder entlang der Donau ist mit Ortskenntnis geschildert, auch Zeiselmauer kommt darin vor.
Walther von der Vogelweide
Über Wolfger von Erla gibt es auch einen sehr engen Bezug zu Walther von der Vogelweide, dem bedeutendsten deutschen Dichter und Sänger des Mittelalters. Dieser hielt sich am 12. November 1203 in Zeiselmauer auf, als Gast in der Pfalz des Bischofs. Wolfger überreichte ihm als Ehrengeschenk für den Ankauf eines Pelzes „5 lange Schillinge“ (V solidi longi). Dies entsprach einem Gegenwert von 150 Silberpfennigen bzw. etwa 200g Silber, wofür ein schöner Pelz wohl zu haben war.
Es ist die einzige dokumentierte Nachricht aus dem Leben Walthers von der Vogelweide, wir verdanken sie der Genauigkeit des bischöflichen Buchhalters, der diese Zahlung und ihren Empfänger im Ausgabenbuch festhielt.
An den Aufenthalt Walthers in Zeiselmauer erinnert eine Gedenktafel am Haus Kirchenplatz 1, dem ehemaligen „Gasthof zum Lustigen Bauern“, an dessen Stelle sich vermutlich die bischöfliche Pfalz befunden hat.
Im Herbst 2003 feierte Zeiselmauer mit einem „Fest für Walther“ das 800 jährige Jubiläum dieses denkwürdigen Ereignisses.
Neidhart von Reuental
Eine Generation nach Walther von der Vogelweide machte Neidhart von Reuental Zeiselmauer zum Schauplatz seiner satirischen Minnelieder. Er holte die hehre Welt des klassischen Minnesangs auf den Boden einer derben dörflichen Gesellschaft, die meinte, die ritterlichen Tugenden durch Neureichtum nachahmen zu können. Die Zeiselmaurer Bauern kamen bei Neidhart so schlecht weg, dass sie – angeblich – nach seinem Tod sein Grab beim Wiener Stephansdom aufsuchten und „mit Spießen darauf einstachen“.
Neidhart wehrt sich gegen die ihn bedrängenden Zeiselmaurer Bauern
Neithart Fuchs
Der Schelmenroman „Neithart Fuchs“ entstand in der Nachfolge Neidharts von Reuental und hat ebenfalls Zeiselmauer zum Schauplatz. Die Zeiselmaurer Bauern werden hier noch krasser gezeichnet als im Original. Die bekannteste Episode ist der „Veilchenschwank“, in dem ein arglistiger Zeiselmaurer Knecht das von Neithart gefundene erste Veilchen mit einem merdum bedeckt und die von Neithart zum Veilchenfest stolz herbeigeführte Herzogin mit dieser Schandtat konfrontiert wird. Der „Veilchenschwank“ wurde zu einem bis in die Gegenwart lebendigen Stück Volksliteratur.
Dass die Zeiselmaurer Bauern in diesen damals sehr populären Texten so schlecht wegkamen, mag seinen Grund auch darin haben, dass die Autoren am Wiener Hof lebten und schrieben, für den der Passauer Bischof bereits als „Landfremder“ galt, und mit ihm seine Zeiselmaurer Untertanen.
Ende des Mittelalters
Lange Zeit war neben dem landesfürstlichen Tulln das fürstbischöfliche Zeiselmauer der bedeutendste Ort des östlichen Tullnerfelds. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts verlor es schrittweise diese Bedeutung. Passau musste sich dem langjährigen Drängen der Habsburger nach einem Bischofssitz in Wien beugen und ernannte einen Passauischen Vikar mit Amtssitz in Wien. Die bischöfliche Pfalz in Zeiselmauer war damit überflüssig geworden. 1415 verlor Zeiselmauer auch die Passauische Güterverwaltung, sie wurde nach Königstetten verlegt, ebenso später das Landgericht. Zu diesem Niedergang haben die damals zahlreichen und schweren Donauhochwässer beigetragen, die den Ort häufig bedrohten.
Mehr über Zeiselmauer im Mittelalter
Zeiselmauer im Mittelalter Hofmark, Bischofspfalz und Minnesang
Das östliche Tullnerfeld vom 9. bis zum 15. Jahrhundert Verein „Freunde von Zeiselmauer“ (Hrsg.) 96 Seiten, Zeiselmauer 2008
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